Hausdurchsuchung wegen Kinderpornografie rechtswidrig: Das LG Halle hebt den Beschluss des Amtsgerichts auf – der Tatverdacht war zu schwach, der Zugriff auf die E-Mail-Adresse nicht eindeutig.
Zweieinhalb Jahre Zeitverzug: Keine Auffindewahrscheinlichkeit mehr für Beweismittel – ein entscheidendes Argument gegen die Durchsuchung.
Klarstellung zur „Gegenvorstellung“: Der kreative Versuch der Staatsanwaltschaft, den Beschluss zu kippen, wurde vom Landgericht deutlich zurückgewiesen.
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Hausdurchsuchungen als Standardmaßnahme bei Internetdelikten
Im Bereich der sexualdeliktischen Internetkriminalität sind Hausdurchsuchungen eine Massenware. Eine IP- oder Mailadresse ist schnell ermittelt. Ein Richter, der pauschal jeden Antrag auf Durchsuchung abzeichnet, findet sich ebenfalls problemlos. Eine tiefergehende Prüfung, ob das alles überhaupt rechtsstaatlich legitim ist, findet üblicherweise nicht mehr statt.
Als spezialisierte Strafverteidiger gehen wir daher regelmäßig gegen rechtswidrige Durchsuchungsmaßnahmen gerichtlich vor – so auch in einem Fall vor dem LG Halle, in dem es nun einen weiteren Erfolg zu verbuchen gibt und der auch hinsichtlich der Rechtsdogmatik zur Lehrstunde wurde.
Rechtsmittel gegen den Durchsuchungsbeschluss zeigen Wirkung
Wie so oft begann das Verfahren mit einer Meldung des NCMEC ans BKA, welche eine E-Mail-Adresse enthielt. Durch weitere Ermittlungen gelangte die Polizei sodann zum Haushalt unseres Mandanten und regte (wie üblich) eine Hausdurchsuchung an, die vom Amtsgericht Halle auch prompt genehmigt wurde.
Nach Mandatierung legte Rechtsanwalt Bass aus unserer Kanzlei Beschwerde gegen den rechtswidrigen Beschluss ein. In der Folge hatte sich sodann das Landgericht Halle als übergeordnete Instanz mit den Diskussionspunkten der „faktischen Verfügungsmacht“ mehrerer Dritter hinsichtlich des Tatobjekts (vgl. BGH, B. v. 04.04.2017 – 1 StR 432/16 = HRRS 2017 Nr. 688; ferner BGH, B. v. 07.10.2015 – 4 StR 327/15 = HRRS 2015 Nr. 1180) zu befassen:
"Zwar lässt die ermittelte E-Mail-Adresse durchaus den Schluss auf den Beschuldigten zu. Dass nur er ausschließlich Zugriff auf diesen E-Mail-Account hatte, geht aus den Ermittlungen jedoch nicht hervor. Es erscheint nicht fernliegend, dass auch andere Familienmitglieder die benannte E-Mail-Adresse hätten nutzen können, zumal die E-Mail-Adresse ausweislich der Auskunft des zuständigen Providers an die Kundenkennung der Mutter des Beschuldigten vergeben war. Mit Rücksicht auf den daher allenfalls geringen Tatverdacht ist die beantragte Durchsuchung im vorliegenden Fall nicht mehr als verhältnismäßig anzusehen."
Zweifel an der Zugriffsexklusivität und Verhältnismäßigkeit
Im Übrigen nahm es auch den Zeitablauf zwischen amerikanischer Verdachtsmeldung und Durchsuchungszeitpunkt ins Visier. Denn notwendig für die Rechtsmäßigkeit einer Durchsuchung ist neben einem Anfangsverdacht hinsichtlich der persönlichen Tatbegehung auch eine sog. Auffindevermutung oder -wahrscheinlichkeit hinsichtlich prozessualer Beweismittel:
"Gegen die Auffindewahrscheinlichkeit spricht bereits der erhebliche Zeitablauf: Die maßgeblichen Videodateien wurden am 19. September 2021 hochgeladen, mithin zweieinhalb Jahre vor dem Erlass des Durchsuchungsbeschlusses. Dafür, dass der Beschuldigte noch weiteres kinderpornographisches Material besessen hat, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte. Dagegen spricht, dass seit dem 31. Oktober 2022, dem Datum des 'CyberTipline Reports' des NCMEC, keine weiteren Auffälligkeiten des bislang auch nicht vorbestraften Beschuldigten dokumentiert sind. Das Amtsgericht hatte hierzu in dem angegriffenen Beschluss lediglich aufgeführt, dass 'davon auszugehen' sei, 'dass der Beschuldigte nach wie vor im Besitz der benannten Inhalte ist'. Angaben dazu, aufgrund welcher Umstände das Amtsgericht zu diesem Schluss gekommen ist, werden nicht mitgeteilt und sind nicht ersichtlich."
Der Durchsuchungsbeschluss wurde somit für rechtswidrig befunden (LG Halle, B. v. 27.09.2024 – 4 Qs 13/24 jug).
Staatsanwaltschaft mit fragwürdiger Gegenvorstellung
Doch damit nicht genug. Nach Zustellung des landgerichtlichen Beschlusses wollte die Staatsanwaltschaft dies nicht akzeptieren. Mangels weiterer Beschwerdemöglichkeit (vgl. § 310 II StPO) reichte die Staatsanwaltschaft kreativ eine „Gegenvorstellung“ ein, um die Beschlusslage doch noch zu drehen. Dem Kommentar der Verteidigung, dass hinsichtlich derlei Sperenzchen bereits „Zweifel an der Zulässigkeit“ bestehen dürften, schloss sich das LG dann mit weiterem Beschluss (v. 15.11.2024) und schönem Referat über die letzten sechzig Jahre Rechtsprechung an:
"Gegenvorstellungen gegen gerichtliche Entscheidungen, welche nicht mehr mit einem Rechtsmittel angefochten werden können, sind grundsätzlich ausgeschlossen. Den Gerichten ist es insoweit untersagt, tatsächliche oder vermeintliche Lücken im Rechtsschutzsystem eigenmächtig zu schließen (OLG Koblenz, Beschluss vom 18. Juli 2016, Az.: 2 Ws 130/16 m. w. N.). Zwar hat der BGH in einer Entscheidung aus dem Jahr 1964 (MDR 1964, 1019) eine Gegenvorstellung gegen eine Entscheidung, welche – wie im hier vorliegenden Fall – nicht der Rechtskraft fähig war (da sie auf eine unbefristete Beschwerde hin ergangen war), ausnahmsweise für zulässig erachtet. Diese BGH-Entscheidung bezog sich allerdings – was aus ihr auch eindeutig hervorgeht – auf einen (Ausnahme-)Fall, in dem es lediglich um die Richtigstellung eines für die Verfahrensbeteiligten ohne Weiteres erkennbaren Irrtums in tatsächlicher Hinsicht ging, welcher innerhalb der mit der Gegenvorstellung angegriffenen gerichtlichen Entscheidung unterlaufen war; ein solcher Fall ist vorliegend ersichtlich nicht gegeben."
Ein Verfahren mit rechtsstaatlichem Lehrwert
Zum Abschied gab es dann noch einen höflichen Hinweis des Landgerichts darauf, dass es in seiner Arbeitszeit Besseres zu tun hat, als sich in Redundanz zu ergehen:
„Soweit die Kammer sich in einem früheren Beschwerdeverfahren [...] nochmals dezidiert mit den Argumenten [...] inhaltlich auseinandergesetzt hat, [...] so wird [hieran] nicht mehr festgehalten.“
Das Verfahren ist mittlerweile gem. § 170 II StPO eingestellt.
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Über den Autor
Patrick Bass
Rechtsanwalt und Strafverteidiger Patrick Bass verfügt vor allem im Strafrecht über eine große Praxiserfahrung. Er ist fester Bestandteil unseres Verteidigerteams und vertritt Mandanten bei allen strafrechtlichen Anschuldigungen.
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