Wer über Cloud oder Messenger sexualdeliktische Inhalte (Kinderpornografie / Jugendpornografie) bezieht oder verbreitet, darf sich nicht sicher fühlen. Längst registriert die KI auf fast allen relevanten Plattformen entsprechende Dateien und meldet dies an deutsche Ermittlungsbehörden. Auch die Administratoren sozialer Netzwerke sind sensibilisiert und leiten derartige Vorgänge umgehend weiter. Die Ermittlungsbehörden nehmen Strafanzeigen aus diesem Bereich sehr ernst und haben an vielen Standorten bereits Schwerpunktdezernate gebildet.
Im Zuge ihres Ermittlungseifers schießen Polizei und Staatsanwaltschaft öfters einmal über das Ziel hinaus und ermitteln mit verfassungswidrigen Methoden gegen de jure Unschuldige. Umso bedauerlicher ist es, dass viele Ermittlungsrichter entsprechend rechtswidrige Durchsuchungs-Anträge kritiklos „durchwinken“ und damit schwerwiegende Verletzungen von Grundrechten ermöglichen. Betroffene können sich in dem Strafverfahren dann nur zur Wehr setzen, indem Sie den Beistand erfahrener Strafverteidiger suchen.
In den letzten Monaten gelang es unserer Kanzlei in diversen Fällen, die juristisch unsaubere Arbeit der Ermittlungsbehörden herauszuarbeiten und im Beschwerdeverfahren vor die Landgerichte zu bringen. Hierbei wurde die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung festgestellt und die Herausgabe der sichergestellten Datenträger angeordnet. Im Folgenden wollen wir zwei der erstrittenen Entscheidungen kurz erläutern. Die zugrunde liegenden Ermittlungsverfahren wurden in beiden Fällen mittlerweile eingestellt.
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LG Bremen, B. v. 13.01.2023 – 6 Qs 355/22
Der Anlass der Durchsuchung war, dass die Behörden Zugriff auf einen (angeblichen) Chatverlauf unseres Mandanten erlangten, in dem dieser sexuelle Fantasien mit einem 15-jährigen Chatpartner austauschte. Grundlage der Durchsuchung war die Unterstellung, wer sich derart mit 15-Jährigen unterhalte, der müsse sicherlich auch im Besitz von strafbarem pornografischem Material sein.
Das Landgericht Bremen schob einer derartig weiten Ausdehnung kriminalistischer Annahmen auf den Antrag von Rechtsanwalt Dr. Brauer hin einen Riegel vor. Hierbei stellte das Gericht zunächst fest, dass, wenn schon der tatsächliche Geschlechtsverkehr mit Personen über 14 Jahren grundsätzlich erlaubt sei, wohl auch die Thematisierung desselben im Gespräch legal sei. Im Übrigen erteilte es irgendwelchen gerichtlichen Vermutungen und Spekulationen ohne konkrete Anhaltspunkte eine deutliche Absage:
„[Aus den Erwägungen des Durchsuchungsbeschlusses] lässt sich kein Anfangsverdacht begründen. Es liegen keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vor, aus denen auf das Vorliegen einer Straftat gemäß § 184c Abs. 3 StGB zu schließen wäre. Der Umstand, dass der Beschuldigte mit dem gesondert Verfolgten den aus der Beweismittelakte ersichtlichen Chat geführt hat, reicht hierfür nicht aus. Das Amtsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass das Verhalten des Beschuldigten nicht strafbar ist. Die Einschätzung, es ergäben sich aus dem Chatverlauf Anhaltspunkte dafür, dass der gesondert Verfolgte noch nicht über die Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung verfüge und somit Anhaltspunkte für ein potenziell strafwürdiges Verhalten bestünden, teilt die Kammer jedoch nicht. […]
Die Durchsuchungsanordnung stützt den Anfangsverdacht ferner auf die mutmaßliche auf den sexuellen Kontakt zu Jugendlichen gerichtete sexuelle Neigung des Beschuldigten. Hierbei handelt es sich jedoch um eine bloße Vermutung, da sie nach Aktenlage keine feststellbare Stütze findet. Aus dem Chatverlauf und den sonstigen Akteninhalten ergibt sich nicht, dass der Beschuldigte zielgerichtet auf der Suche nach unter 18-jährigen Chat- bzw. Sexualpartnern war.
Die genutzte Plattform ist zudem eine im Internet frei zugängliche. Der Beschuldigte hat gerade nicht im sogenannten Darknet mit einschlägigen Begriffen nach Kindern oder Jugendlichen gesucht oder eine erkennbar für Kinder und Jugendliche gedachte Seite aufgerufen, sondern sich auf einer Plattform angemeldet, die – soweit aus der Akte erkennbar – regelmäßig von erwachsenen Nutzern frequentiert wird. Der Beschuldigte hat ausweislich des Chatverlaufs nicht auch nach dem Alter des Gesprächspartners gefragt, vielmehr ist ihm diese Information gemeinsam mit Angaben zu körperlichen Eigenschaften durch den gesondert Verfolgten aus eigener Initiative mitgeteilt worden. Die Antwort des Beschuldigten lässt auch nicht erkennen, dass ihm das Alter des potenziellen Partners besonders wichtig war.
Insoweit lässt sich auch kein auf kriminalistische Erfahrungswerte gestützter Rückschluss ziehen, da dieser an eine bloß vermutete Tatsache knüpft.“
LG Görlitz, B. v. 24. Juni 2024 – 3 Qs 105/24
Anlass der Durchsuchung war ein (angeblicher) Chat unseres Mandaten mit einer Person, gegen die bereits ein Verfahren wegen Kinderpornografie lief. In diesem Chat soll der Chatpartner unserem Mandanten ein Bild übersandt haben, wobei die Bilddatei nicht mehr sichtbar war. Unser Mandant soll mit der Aussage „die ist aber [zu] jung“ geantwortet haben.
Die Staatsanwaltschaft schloss hieraus, dass es sich um ein Bild einer Minderjährigen gehandelt haben müsse und beantragte eine Hausdurchsuchung bei unserem Mandanten mit der Begründung, dass vom Fund einer Vielzahl von Kinder- und Jugendpornografie auszugehen sei. Das Amtsgericht Bautzen erließ aufgrund dieser sehr spekulativen Behauptungen einen Durchsuchungsbeschluss.
Auf die Beschwerde von Rechtsanwalt Patrick Bass hin hob das Landgericht Görlitz den Beschluss umgehend auf und ordnete die unverzügliche Herausgabe der sichergestellten Asservate an:
„Der Verdacht der Drittbesitzverschaffung und des Besitzes jugendpornografischer Inhalte kann hier schwerlich angenommen werden. Originalbilder liegen nicht vor. Dass – so heißt es in dem angegriffenen Beschluss – der Beschuldigte und der gesondert Verfolgte M ‚auf junge weibliche Personen stehen und Bilder tauschen wollen, die solche Personen in einer Weise darstellen, dass sie zu einer sexuellen Stimulation geeignet sind‘, lässt gänzlich offen, ob / dass diese Personen unter 18 Jahre alt bzw. jung sind. Gleiches gilt für den Umstand, dass der gesondert Verfolgte auf eine Bilddatei, die ihm der Beschuldigte am 25. Mai 2022 gesandt habe, antwortete: ‚die aber ui ist jung‘, und für die Annahme der Staatsanwaltschaft, das ‚ui‘ sei als auf der Tastenkombination daneben liegendes ‚zu‘ zu lesen.
Lässt sich hier vielleicht der angebliche Verdacht gerade noch dahin konstruieren, dass jedenfalls die am 25. Mai 2022 versandte Bilddatei § 184c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 StGB unterfällt, stellte die gegenständliche Tat wohl eine schwerwiegende dar. Allerdings ist die Schwere des Tatverdachts immer in Relation zur Schwere des Eingriffes in den grundrechtlich geschützten Bereich des Beschuldigten zu sehen. Vorliegend ist der Anfangsverdacht – so man ihn überhaupt als gegeben ansehen möchte – so gering, dass die Abwägung nur zu Gunsten des Beschuldigten ausgehen kann.“
Unzulässiger Eingriff in informationelle Selbstbestimmung
Sehr erfreulich war, dass das Landgericht Görlitz sich in seinen Abwägungen tiefergehend mit der Eingriffsintensität der Sicherstellung von Smartphones auseinandersetzte. Diese Erwägungen fallen meistens nämlich trotz ihrer erheblichen verfassungsrechtlichen Relevanz völlig unter den Tisch, sodass sich die Smartphones bei den Landeskriminalämtern stapeln. Das LG Görlitz schreibt dazu:
„Durchsuchungsbeschlüsse, welche die Beschlagnahme von technischen Geräten und Datenträgern anordnen, stellen neben einem solchen in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung auch einen Eingriff in dasjenige auf informationelle Selbstbestimmung dar. Der moderne Mensch hat den größten Teil seiner – teilweise intimsten – Kommunikation auf solchen Geräten gespeichert. Teilweise werden dort auch Selbstreflexionen niedergelegt. Die Parallele zum besonderen Schutz von Tagebucheinträgen drängt sich förmlich auf. Deshalb ist bei der Anordnung von Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch Beschlagnahme von elektronischen Kommunikationsgeräten auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung besonderes Augenmerk zu legen, sie kann nur als Ultima Ratio zulässig sein.“
Fazit: Bloßes Interesse an jungen Menschen genügt nicht für eine Durchsuchung wegen Jugendpornografie
Zusammenfassend ist zu sagen, dass beide Entscheidungen die Grundrechte von Beschuldigten im Strafprozess stärken. Sie reihen sich damit in eine gewisse Linie landgerichtlicher Entscheidungen ein, die sich für eine Rückbesinnung auf verfassungsrechtliche Grundsätze und eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung stark macht (siehe auch LG Görlitz BeckRS 2020, 34871 und LG Regensburg BeckRS 2014, 100231).
Beide Entscheidungen verdeutlichen jedoch auch die Notwendigkeit einer versierten Strafverteidigung. Durchsuchungsbeschlüsse werden regelmäßig von Amtsrichtern nur flüchtig überflogen und dann genehmigt. Eine umfassende Grundrechtsprüfung findet leider nur selten statt.
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Über den Autor
Patrick Bass
Rechtsanwalt und Strafverteidiger Patrick Bass verfügt vor allem im Strafrecht über eine große Praxiserfahrung. Er ist fester Bestandteil unseres Verteidigerteams und vertritt Mandanten bei allen strafrechtlichen Anschuldigungen.
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