Wie wichtig es ist, sich bereits zu Beginn strafrechtlicher Ermittlungen von einem erfahrenen Anwalt vertreten zu lassen, zeigt ein aktuelles Verfahren aus Bonn, das kürzlich eingestellt wurde.
Dem jugendlichen Beschuldigten wurde vorgeworfen, über den Messengerdienst Snapchat eine kinderpornografische Datei versandt zu haben. Grundlage für diesen Verdacht war eine Meldung des National Center for Missing & Exploited Children (NCMEC). Das Amtsgericht Bonn nutzte diese Meldung als Basis für eine Durchsuchungsanordnung gegen den Beschuldigten.
Sicherstellung von Asservaten und überlange Verfahrensdauer
Im Rahmen der Durchsuchung wurden neun Asservate (Geräte und Datenträger) des Beschuldigten sichergestellt. Doch nahezu ein Jahr nach der Beschlagnahme war die Auswertung dieser Beweismittel immer noch nicht abgeschlossen.
Rechtsanwalt Bass aus unserer Kanzlei rügte die überlange Verfahrens- und Auswertungsdauer mit Verweis auf die gesicherte Rechtsprechung sowie Artikel 6 Absatz 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren). Er legte eine Beschwerde ein, die schließlich vor dem Landgericht Bonn Erfolg hatte.
Landgericht Bonn: Verzögerung durch Überlastung nicht zulasten des Beschuldigten
Das Landgericht Bonn (Beschluss vom 30.09.2024 – 22 Qs-777 Js 219/23 SE-23/24) folgte der Argumentation der Verteidigung und stellte zunächst die allgemeinen Grundsätze der gerichtlichen Abwägung dar:
„Hierbei ist das staatliche Interesse an der Strafverfolgung gegen die grundgesetzlich verbürgten Eigentumsrechte des Beschuldigten abzuwägen (…). Die Stärke des Tatverdachts, der Umfang und das Gewicht des Tatvorwurfs sowie der Ermittlungsstand sind dem aus der Beschlagnahme resultierenden Ausmaß der Beeinträchtigung für einen Betroffenen, dem Wert und Alter der Geräte, einem möglichen Wertverlust und gegebenenfalls vorhandenen Entschädigungsansprüchen gegenüberzustellen (…). Der Beschwerdeführer hat zwar die Nutzung des tatrelevanten Accounts eingeräumt, im Übrigen aber noch keine Einlassung abgegeben. Der Beschwerdeführer war zum Tatzeitpunkt 14 Jahre alt und demnach gerade strafmündiger Jugendlicher.“
Das Gericht betonte zudem, dass ein Mangel an staatlichen Ressourcen nicht zulasten des Beschuldigten gehen dürfe:
„Die Aufbereitung und Auswertung der beschlagnahmten Geräte ist über ein Jahr nach der Sicherstellung derselben noch nicht abgeschlossen, ohne dass dies auf dem besonderen Umfang der hier zu überprüfenden Datenmenge beruhen würde. Vielmehr hat sich die Auswertung aufgrund Überlastung der auswertenden Behörde, technischer Probleme und weiterer höher priorisierter Auswertungen erheblich verzögert. Eine derart verzögerte Bearbeitung durch unzureichend ausgestattete staatliche Organe vermag einen deutlich über sechs Monate hinwegdauernden Eingriff in Eigentumsrechte des Betroffenen nicht zu rechtfertigen (…).“
Kein hinreichender Tatverdacht trotz schwerwiegender Datei
Besonders bemerkenswert war, dass das Landgericht den Grundrechtseingriff als derart massiv einstufte, dass es selbst das Argument der möglichen erneuten Besitzverschaffung an illegalem Material nicht für ausschlaggebend hielt:
„Dabei verkennt die Kammer nicht, dass es sich bei der in Rede stehenden Datei nicht um eine jugendtypische handelt, sondern um eine, die den schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes zeigt, die überdies noch nicht bekannt war. Dennoch stellt sich der Verdacht gegenüber dem Beschwerdeführer als vergleichsweise vage dar, weil der Beschwerdeführer sich bislang lediglich dazu eingelassen hat, den tatrelevanten Snapchat-Account in der Vergangenheit genutzt zu haben, bis dieser – aus ihm unbekannten Gründen – gesperrt worden sei. Insbesondere hat der Beschwerdeführer nicht den Besitz weiterer kinder- oder jugendpornografischer Dateien eingeräumt, sodass weitere inkriminierte Dateien im Rahmen der Auswertung der Daten zwingend zu erwarten wären. Dabei hat die Kammer nicht unberücksichtigt gelassen, dass – sollte sich der Verdacht erhärten und die kinderpornografische Datei auf einem der Datenträger gespeichert sein – die Ermittlungsbehörden durch die Rückgabe der Gegenstände erneuten Besitz des Beschwerdeführers an der inkriminierten Datei begründen und damit eine erneute Strafbarkeit auslösen könnten. Die Tatsache, dass die Rückgabe der sichergestellten Gegenstände einerseits die Auswertung noch nicht gesicherter Dateien unmöglich machen könnte und andererseits eine erneute Strafbarkeit auslösen könnte, ist im Vergleich zu dem nunmehr über ein Jahr andauernden Eingriff in die Eigentumsrechte des Beschwerdeführers ein hinzunehmender Nachteil.“
Aufhebung der Sicherstellung und Verfahrenseinstellung
Das Landgericht Bonn entschied schließlich, die weitere Sicherstellung der Asservate aufzuheben und deren Herausgabe anzuordnen. Im Februar 2025 wurde das Verfahren eingestellt.
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Über den Autor
Patrick Bass
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