Im Jahr 2020 gelang es der französischen Polizei nach längeren Ermittlungen, in das Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikationsnetzwerk von EncroChat einzudringen.
Das Unternehmen aus den Niederlanden bot vier Jahre lang diese Form der gesicherten Kommunikation und die dazugehörenden Endgeräte (EncroPhones genannte Krypto-Handys) an.
Zum Zeitpunkt der Schließung soll EncroChat 60.000 Nutzer gehabt haben. Auf viele wartet nun ein Strafverfahren – nicht wegen der Nutzung an sich, sondern aufgrund der Inhalte der vermeintlich vertraulichen Kommunikation, denn häufig wurde EncroChat zur Durchführung von illegalen Geschäften und schweren Straftaten genutzt.
Auch in Deutschland gibt es mehrere tausend Strafverfahren im Zusammenhang mit EncroChat, nachdem die französischen Ermittler ihren riesigen Datenbestand an andere Behörden in Europa weitergegeben haben. Ob dieses Vorgehen im Hinblick auf die Grundrechte rechtlich zulässig ist, muss erst noch geklärt werden. Zweifel sind angebracht.
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Was genau ist im Zusammenhang mit EncroChat strafbar?
Die bloße Nutzung von Krypto-Handys ist nicht strafbar. Allerdings werten die Ermittlungsbehörden die Nutzung als erstes Indiz für das Vorliegen von Straftaten und nehmen Nutzer deshalb genauer unter die Lupe.
Strafbar sind nur illegale Taten, die mittels EncroChat geplant und durchgeführt wurden. Häufig handelt es sich um Drogengeschäfte und Waffenhandel. Nach unserem Kenntnisstand sind vor allem Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) Gegenstand von Ermittlungen im Zusammenhang mit der Nutzung von EncroChat.
Zum Strafrahmen bei BtMG-Delikten erhalten Sie nähere Informationen in unserem Artikel Welche Strafe droht bei Verstoß gegen § 29 BtMG?
Wie wird gegen EncroChat-Nutzer ermittelt?
Das Bundeskriminalamt hat von den französischen Ermittlungsbehörden über EUROPOL umfangreiches Datenmaterial erhalten, das jetzt ausgewertet wird. Auch wenn es im Hinblick auf die Rechte des Beschuldigten problematisch ist: Die Polizei sieht in der Nutzung von EncroChat ein erstes Indiz für kriminelle Handlungen und leitet nach der Identifizierung der betreffenden Personen ein Ermittlungsverfahren ein. In dessen Rahmen sollen weitere Beweise gesammelt werden, die den Verdacht von Straftaten erhärten sollen. Deshalb muss – je nach Schwere – auch mit Hausdurchsuchungen gerechnet werden.
Da es sich um eine sehr große Datensammlung handelt, werden die Ermittlungen sicher noch eine ganze Weile andauern. In manchen Fällen wird vermutlich auch aus ermittlungstaktischen Gründen der Beschuldigte noch nicht in Kenntnis gesetzt, z. B. weil er zunächst noch oberserviert werden soll oder eine TKÜ-Maßnahme durchgeführt wird. Lesen Sie zur Telekommunikationsüberwachung auch unseren Artikel „Verstoß gegen das BtMG und TKÜ – Was darf die Polizei?“
Nicht betroffen ist nach bisherigen Erkenntnissen die Kommunikation über EncroTalk. Die Gespräche über Voice-Over-IP wurden offenbar nicht aufgezeichnet. Die Datensammlung besteht aus den ...
- Chatverläufen,
- Fotos,
- Adressbüchern,
- Notizen,
- Login-Daten und
- Standortdaten.
Womit müssen EncroChat-Nutzer nach Verstößen gegen das BtMG jetzt rechnen?
Das Vorgehen der Polizei im Einzelfall ist von verschiedenen Faktoren abhängig, insbesondere von der Schwere der vermuteten Straftat. Unter Umständen kann es zu einer Hausdurchsuchung kommen. Lesen Sie dazu auch unseren Artikel „Was tun bei einer Hausdurchsuchung wegen Drogen?“
In besonders schweren Fällen gab es auch schon eine ganz Reihe von Festnahmen. In anderen Fällen ist mit einer Vorladung durch die Polizei zu rechnen, die man als Beschuldigter aber nicht wahrnehmen muss und auch nicht sollte, weil die geschulten Ermittler auf diesem Wege durch den Beschuldigten häufig an Informationen kommen, die sie sonst nie erfahren hätten. In unserer Rechtsordnung muss sich aber niemand selbst belasten. Zum richtigen Verhalten bei einer Vorladung finden Sie weitere Informationen in unserem Artikel „Wie reagiere ich auf eine Vorladung durch die Polizei als Beschuldigter wegen BtMG § 29?“
Warum ist die Verwertung von EncroChat-Daten rechtlich problematisch?
Die Daten wurden durch französische Behörden im Rahmen ihrer Ermittlungen erlangt. Wie bekannt ist, wurden dabei in erheblichem Umfang auch Daten von EncroChat-Nutzern in Deutschland gespeichert, die später an die deutschen Behörden übergeben wurden und nun von diesen ausgewertet werden. Die Polizei in Deutschland wäre aber auf einem rechtlich zulässigen Weg nicht an diese Daten gelangt, da die Ausspähung nur bei Verdacht von konkreten Straftaten erlaubt ist.
Die französischen Ermittler haben aber offensichtlich wahllos gegen alle Nutzer ermittelt. Außerdem besteht der begründete Verdacht, dass das BKA von dem Vorgehen der französischen Partner auch gegen Nutzer in Deutschland wusste, ohne auf die Einhaltung des deutschen Strafprozessrechts hingewirkt zu haben. § 100b der Strafprozessordnung (StPO) sieht für eine Online-Durchsuchung einen konkreten Tatverdacht und einen richterlichen Beschluss vor. Andernfalls werden Grundrechte der Beschuldigten verletzt.
Es kommt aus anwaltlicher Sicht nicht darauf an, ob das Vorgehen in Frankreich korrekt war oder nicht, sondern dass in Deutschland selbstverständlich nur die deutsche StPO gelten kann. Wenn die jetzige Praxis durch die Gerichte in letzter Instanz bestätigt würde, dann könnten sich die Polizeibehörden in Europa in Zukunft einfach immer das Land mit dem niedrigsten datenschutz- und grundrechtlichen Standard aussuchen und von dort aus die Ermittlungen führen.
EncroChat Daten verwertbar: Fragwürdiges BGH-Urteil
Zunächst wurde das rechtlich fragwürdige Vorgehen vor allem von Landgerichten akzeptiert. Obergerichtliche Entscheidungen fehlten zunächst. Im März 2022 erklärten zunächst der 6. Strafsenat, einige Wochen später auch der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) die Verwertung von gehackten EncroChat-Dateien für zulässig. Insbesondere der in Leipzig angesiedelte 5. Strafsenat begründete seine Entscheidung im Detail.
Nach Auffassung des Senats begründet sich weder aus nationalem deutschen Recht noch aus den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ein Beweisverwertungsverbot. Zu dem besonders umstrittenen Punkt der Frage der Nichtüberprüfbarkeit der Datenerhebung durch französische Behörden aus den EncroChat-Dateien zu einem nicht kompensierten Verstoß gegen Grundrechte kommt der BGH zu dem Schluss, dass die Frage des rechtmäßigen Verhaltens französischer Behörden keiner eigenen Prüfungsverpflichtung durch die Bundesrepublik Deutschland unterliege.
Noch kein abschließender Urteilsspruch zur Verwertbarkeit von EncroChat-Daten
Wir teilen die Rechtsauffassung des BGH nicht. Anders als in vielen deutschen Medien dargestellt, handelt es sich bei diesem Urteilsspruch noch nicht um eine abschließende juristische Bewertung der Verwertbarkeit der EncroChats. Wir gehen davon aus, dass Betroffene nunmehr Verfassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung eingelegen werden. Das Bundesverfassungsgericht wird dann zu prüfen haben, ob die vom 5. Strafsenat angelegten Maßstäbe hinsichtlich einer Grundrechtsverletzung der Angeklagten tatsächlich Stand halten. Auch ein abschließendes Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in diesen Fällen ist sehr wahrscheinlich.
Vorerst ist jedoch nach den Entscheidungen des BGH davon auszugehen, dass in Strafverfahren EncroChat-Dateien verwertet werden dürfen. Damit muss man auch mit weiteren Strafverfahren in diesem Zusammenhang rechnen.
Was sollten Sie tun, wenn Sie als ehemaliger Nutzer von EncroChat eine Vorladung wegen Verstoßes gegen das BtMG erhalten haben?
Wie bereits oben dargestellt, haben Sie als Beschuldiger ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht. Machen Sie gegenüber der Polizei keinerlei Angaben zum Tatvorwurf und geben Sie nur Ihre Personalien an.
Als nächsten Schritt sollten Sie Kontakt zu einem Fachanwalt für Strafrecht aufnehmen. Im Gegensatz zum Beschuldigten kann ein Rechtsanwalt Einsicht in die Ermittlungsakte beantragen und auf diesem Wege feststellen, über welche Beweise die Behörden tatsächlich verfügen. Auf dieser Grundlage kann dann eine erfolgversprechende Verteidigungsstrategie entwickelt werden.
Falls Sie als ehemaliger Nutzer von EncroChat von einem Ermittlungsverfahren gegen Sie erfahren haben, stehen Dr. Brauer Rechtsanwälte gern als Strafverteidiger zur Verfügung. Wir sind bundesweit tätig und verfügen über umfangreiche Erfahrungen gerade im Hinblick auf BtMG-Verfahren. Die unverbindliche Ersteinschätzung Ihres Falles ist kostenlos. Nehmen Sie über das Kontaktformular, per E-Mail, Telefon oder gern auch über WhatsApp Verbindung mit uns auf.
Über den Autor
Dr. Matthias Brauer LL.M.
Dr. Matthias Brauer ist Rechtsanwalt und ein erfahrener Fachanwalt für Strafrecht. Seit Jahren vertritt er mit seiner Kanzlei "Dr. Brauer Rechtsanwälte" bundesweit Mandanten bei strafrechtlichen Anschuldigungen.
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