Zuletzt aktualisiert am 14. März 2023
Therapie statt Strafe bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz?
Der § 35 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) gibt der Vollstreckungsbehörde die Möglichkeit, den Vollzug einer Strafe auszusetzen, wenn der Verurteilte an einer Therapie teilnimmt. Das Prinzip „Therapie statt Strafe“ soll dafür sorgen, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Abhängigkeit von Drogen als Ursache einer Straftat bekämpft werden kann und nicht nur ein Symptom, also die Tat selbst.
In diesem Artikel werden folgende Fragen zu den Voraussetzungen des § 35 BtMG beantwortet:
- Was versteht man unter der Aussetzung der Strafe?
- Welche formellen Voraussetzungen gibt es für „Therapie statt Strafe“?
- Welche materiellen Voraussetzungen gibt es für „Therapie statt Strafe“?
- Wo muss der Antrag nach § 35 BtMG gestellt werden?
- Kann die Zurückstellung der Vollstreckung widerrufen werden?
- Wie oft kann man einen Antrag nach § 35 BtMG stellen?
- Was kann ein Rechtsanwalt für die Anwendung von „Therapie statt Strafe“ leisten?
Was versteht man unter der Aussetzung der Strafe?
Der Vollzug der Strafe wird für die Zeit der Therapie ausgesetzt. Ist die Therapie erfolgreich, dann wird die Strafe am Ende zur Bewährung ausgesetzt. Der Verurteilte muss also nicht in Haft. In der Regel wird nach zwei Dritteln der Therapiezeit die restliche Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Therapie muss dabei selbstverständlich fortgesetzt werden.
Welche formellen Voraussetzungen gibt es für „Therapie statt Strafe“?
Der Verurteilte muss die Bereitschaft zur Therapie erklären. Der Nachweis einer besonderen Motivation ist nicht erforderlich.
Das Gericht des 1. Rechtszuges muss dem Antrag zustimmen. Dabei handelt es sich um das Gericht, bei dem die Sache erstmals verhandelt wurde. Das gilt unabhängig davon, ob das rechtskräftige Urteil später durch ein anderes Gericht erfolgt ist, weil Rechtsmittel eingelegt wurden.
Es darf keine Zurückstellungshindernisse geben. Das kann z. B. eine weitere Verurteilung sein, wenn die Freiheitsstrafe in diesem Fall mehr als zwei Jahre beträgt.
Welche materiellen Voraussetzungen gibt es für „Therapie statt Strafe“?
„Therapie statt Strafe“ kann erst im Vollstreckungsverfahren ausgesprochen werden, nicht im Urteil selbst. Es muss also ein rechtskräftiges Urteil vorliegen. Während eines laufenden Rechtsmittels kann über den Antrag noch nicht entschieden werden, weil die Höhe der Strafe noch nicht feststeht.
Die rechtskräftige Verurteilung muss nicht zwingend wegen eines Verstoßes gegen das BtMG erfolgt sein. Entscheidend ist vielmehr der Zusammenhang der Tat mit der Sucht. Dieser Zusammenhang muss im Strafverfahren erwähnt worden sein, am besten in den Urteilsgründen. Neben der BtM-Abhängigkeit kann es noch andere Ursachen für die Tat gegeben haben, sie muss nicht allein ursächlich sein.
Die zu verbüßende Freiheitsstrafe darf nicht höher als zwei Jahre sein. Wurde jemand zu einer höheren Strafe verurteilt, dann muss er zunächst den Teil, der über zwei Jahren liegt, verbüßen.
Die BtM-Abhängigkeit muss sowohl zum Tatzeitpunkt als auch zum Zeitpunkt der Antragstellung gegeben gewesen sein. Als Betäubungsmittel gelten die in den Anlagen I bis III des BtMG genannten Stoffe, nicht jedoch für Alkohol. Eine zusätzliche Alkoholabhängigkeit stellt aber kein Hindernis dar.
Ein Kostenträger (meistens die Krankenkasse) muss die Übernahme der Therapiekosten zugesagt haben und der Therapieplatz bei einer staatlich anerkannten Therapieeinrichtung muss zugesagt sein sowie der Therapiebeginn feststehen. Dabei ist zu beachten, dass oft lange Wartelisten existieren. Die Voraussetzungen einer Therapieplatzzusage legen die jeweiligen Einrichtungen selbst fest. Sie können deshalb voneinander abweichen. Aus diesem Grund ist eine genaue Darstellung an dieser Stelle nicht möglich, sondern muss konkret erfragt werden.
Die Form der Therapie ist nicht genau festgelegt. Eine stationäre Therapie ist zwar üblich, aber nicht zwingend. Unter Umständen ist auch eine ambulante Therapie möglich, sofern der Therapieerfolg dadurch nicht beeinträchtigt wird.
Wo muss der Antrag nach § 35 BtMG gestellt werden?
Zuständig ist die Vollstreckungsbehörde, das ist bei Erwachsenen die Staatsanwaltschaft, nicht das Gericht. Man kann davon ausgehen, dass den Antrag ein anderer Staatsanwalt prüfen wird als derjenige, der das Ermittlungsverfahren geführt hat. Bei Jugendlichen (bis 18 Jahre) und Heranwachsenden (18 bis 21 Jahre) ist der Jugendrichter für den Antrag zuständig.
Kann die Zurückstellung der Vollstreckung widerrufen werden?
Gemäß § 35 Abs. 5 BtMG widerruft die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung der Vollstreckung, wenn die Behandlung nicht begonnen wurde oder nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, dass der Verurteilte eine derartige Behandlung bald beginnt oder wieder aufnimmt. Gleiches gilt, wenn der Verurteilte keine Nachweise über den Beginn und den Fortgang der Therapie erbringt, die die Vollstreckungsbehörde zu bestimmten Zeitpunkten von ihm fordert.
Wie oft kann man einen Antrag nach § 35 BtMG stellen?
Der Antrag auf Zurückstellung der Strafe kann beliebig oft gestellt werden. Ein bereits erfolgter Rückfall ist kein Hinderungsgrund, weil bei Suchtproblemen häufig damit zu rechnen ist. Gleiches gilt für einen schon einmal erfolgten Widerruf der Zurückstellung der Vollstreckung.
Was kann ein Rechtsanwalt für die Anwendung von „Therapie statt Strafe“ leisten?
Den Antrag auf Zurückstellung können Sie selbst stellen. Dabei müssen Sie aber darauf achten, dass alle Voraussetzungen erfüllt sind. Selbstverständlich kann auch ein Rechtsanwalt die Antragstellung übernehmen.
Im Strafverfahren selbst gilt für den Rechtsanwalt: Aussetzung der Strafe zur Bewährung geht vor „Therapie statt Strafe“. Er wird also dementsprechend verteidigen. Seine Aufgabe ist es, für ein möglichst mildes Urteil zu sorgen. Die Zurückstellung ist keine mildere Form der Strafe, sondern setzt eine Verurteilung voraus. Diese gilt es in erster Linie zu verhindern.
Während des Strafverfahrens kann es aber sinnvoll sein, bereits darauf hinzuweisen, dass man von „Therapie statt Strafe“ Gebrauch machen möchte. Hier ist es nicht zuletzt Aufgabe des Beschuldigten, diese Absicht vor Gericht glaubwürdig zu vermitteln.
Im Fall einer Ablehnung des Antrags auf Zurückstellung ist die Einschaltung eines BtM-Anwalts immer sinnvoll. Allerdings muss dabei beachtet werden, dass es gegen die Ablehnung der Zustimmung des Gerichts des 1. Rechtszuges kein eigenes Rechtsmittel des Verurteilten gibt. Ein Strafverteidiger wird aber mit der zuständigen Staatsanwaltschaft in Kontakt treten, die zugunsten des Verurteilten Beschwerde gegen die Entscheidung des Gerichts einlegen kann. Darüber entscheidet dann das örtlich zuständige Oberlandesgericht.
Über den Autor
Dr. Matthias Brauer LL.M.
Rechtsanwalt und Fachanwalt Dr. Matthias Brauer ist Kanzleiinhaber und verfügt vor allem im Strafrecht und Verkehrsrecht über eine große Praxiserfahrung.
Standorte der Kanzlei Dr. Brauer Rechtsanwälte sind in Bonn, Frankfurt am Main, Dresden, Hamburg, Stuttgart, Nürnberg, München und Berlin. Von dort aus vertreten die Anwälte und Strafverteidiger Mandanten aus und in ganz Deutschland.
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