Aktuell wird in der EU eine sogenannte Chatkontrolle diskutiert. Hintergrund ist der Kampf gegen Kinderpornografie.
Es wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen. Von einer anlasslosen und systematischen Massenüberwachung bis hin zu einer gezielten Durchsuchung bei konkreten Verdachtsmomenten.
Durch die EU-Chatkontrolle könnten private Organisationen oder Unternehmen eine Berechtigung erhalten, in die private und verschlüsselte Kommunikation von Nutzern einzudringen.
Eine endgültige Verordnung der EU wirkt sich unmittelbar auch auf die Strafverfolgung in Deutschland aus.
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Anlassloses Durchforsten von privaten Chats? Was in den USA bereits Realität ist, soll demnächst auch in Deutschland und Europa zur Normalität werden. Zumindest nach Meinung einiger EU-Politiker. Gegenwärtig flammt die Diskussion auf europäischer Ebene wieder auf. Im Wege sogenannter „Chatkontrollen“ soll vorgeblich primär die Kinderpornografie stärkerem Fahndungsdruck unterworfen werden.
Juristen und auch viele Bürger sind jedoch alarmiert und besorgt. Auch der Deutsche Anwaltverein hat sich nun in einem offenen Brief deutlich gegen die Chatkontrolle ausgesprochen. Gründe genug also, sich dieses Thema genauer anzuschauen.
Was sollte mit der Chatkontrolle erreicht werden?
Begründet wird diese Initiative mit dem Kampf gegen kinderpornografische Inhalte. In den USA wird dies bereits seit Jahren umgesetzt. US-amerikanische Internetanbieter scannen systematisch Chats, Chat-Gruppen, E-Mails und auch Cloud-Dienste nach kinderpornografischem oder ähnlichem Material. Das betrifft auch Social-Media-Giganten wie den Meta-Konzern. Das heißt: Durchforstet wird auch bei Facebook, Instagram und insbesondere bei WhatsApp. Werden entsprechende Inhalte gefunden, wird eine Meldung an eine Institution abgesetzt, die sich in den USA um ausgebeutete oder vermisste Kinder und Jugendliche kümmert (NCMEC). Dort werden die Fälle dann weiter bearbeitet. Handelt es sich bei dem gefundenen Material um strafrechtlich relevante Inhalte, wird dies auch den Behörden in Deutschland gemeldet. Insbesondere im Bereich der Kinderpornografie haben Ermittlungsbehörden ein immer dichtes Netz der internationalen Fahndung etabliert, das grenzüberschreitend aktiv ist.
Wie das Meldesystem des amerikanischen NCMEC funktioniert und sich auf Deutschland auswirkt, haben wir hier für Sie zusammengefasst: NCMEC und Kinderpornografie.
In Deutschland sowie in der gesamten Europäischen Union ist das bislang nicht möglich. Eine verdachtsunabhängige Chatkontrolle widerspricht den Grundrechten und auch den Datenschutzrechten der Nutzer. Das soll sich nun ändern.
Wie soll die Chatkontrolle in der EU umgesetzt werden?
Um die EU-Chatkontrolle wird politisch hart gerungen. Dementsprechend wurden bereits verschiedene Modelle diskutiert, wie eine solche Chatkontrolle am Ende aussehen soll. Allerdings bewegt sich die Initiative zwischen den vielen Ebenen der EU-Rechtsetzung. Neben der Kommission und dem EU-Parlament spielen auch die nationalen Regierungen eine gewichtige Rolle. Hier stehen endgültige Beratungsergebnisse ebenfalls noch aus.
Offenbar sind die weitreichenderen Vorschläge zunächst vom Tisch. Dies dürfte auch an dem erheblichen Widerstand von Datenschützern liegen. Nunmehr sollen wohl primär die Anbieter von Chatprogrammen verpflichtet werden, ihre Apps so auszugestalten, dass die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte generell erschwert wird. Etwa dadurch, dass etwa Pornoseiten stärkere Alterskontrollen für Nutzer und Anbieter einführen und systematisch erkennen, wenn Nutzer gezielt nach Missbrauchsmaterial oder strafbaren Inhalten suchen. Auch schnellere Sperrungen und Meldemöglichkeiten für Nutzer untereinander sollen es Straftätern erschweren, kinderpornografisches Material zu verbreiten.
Besonders in die Kritik von Datenschützern und Verfassungsexperten gerieten solche technischen Methoden, die eine Art anlasslose und systematische Massenüberwachung ermöglicht hätten. Im Kern ging es darum, auch verschlüsselte Chats öffnen und durchforsten zu können. In Rede stand gar, Anbieter zu verpflichten, gewisse Lücken in die Programmierung von Chat-Programmen einzubauen, durch die Ermittler Verschlüsselungen umgehen und so auch private Chats hätten lesen können.
Umstritten ist ferner das sogenannte „Client-Side-Scanning“. Dabei wird nicht bloß auf die Infrastruktur eines Chatanbieters, sondern direkt auf das Endgerät eines Nutzers zugegriffen, um etwa ein Handy oder Tablet nach bestimmten Inhalten zu durchsuchen.
Solch drastische Maßnahmen sollen nach dem Meinungsbild des EU-Parlaments nicht umgesetzt werden. Allerdings soll es möglich sein, bei konkreten Verdachtsmomenten durchaus gezielt die Kommunikation und Datenspeicherung von Einzelpersonen, Chatgruppen oder Communities zu durchforsten. Diese gezielte Durchsuchung soll demnach ein „letztes Mittel“ darstellen, dass neben dem begründeten Verdacht unter Umständen sogar einem richterlichen Vorbehalt unterworfen werden soll.
Welche Auswirkungen hat die Chatkontrolle auf die deutsche Strafverfolgung?
Das bleibt vorerst also abzuwarten. Konkrete Prognosen werden dann möglich, wenn das Rechtsetzungsverfahren auf der EU-Ebene in die finalen Beratungen geht. Grundsätzlich unterliegen zwar das Straf- und Strafprozessrecht den unionsrechtlichen Vorgaben. Die Kompetenz auf diesem Gebiet liegt entsprechend der EU-Verträge bislang jedoch primär in der Hand der Mitgliedstaaten.
Allerdings ist die in Rede stehende Initiative zur Aktualisierung der EU-Rechtsvorschrift zum sexuellen Missbrauch von Kindern ein Vorschlag über eine EU-Verordnung. Anders als etwa EU-Richtlinien sind Verordnungen in der Regel unmittelbar bindende Rechtsakte und verpflichten die Mitgliedstaaten zu einer direkten Umsetzung in vollem Umfang. Demnach dürfte der deutsche Gesetzgeber nunmehr auch keine nationalen Regelungen mehr treffen, die geeignet wäre, die bereits in der Beratung befindliche Verordnung zu konterkarieren.
Wird sich auf EU-Ebene also endgültig auf eine Verordnung zur Kontrolle von Chats geeinigt und tritt diese in Kraft, so wirkt sich dies unmittelbar auch auf die Strafverfolgung in Deutschland aus.
Wie ist die aktuelle Gesetzeslage?
Bereits heute dürfen deutsche Ermittler unter gewissen Umständen auf Chatverläufe sowie auf Endgeräte (Handys, Tablets, Computer oder Datenträger wie Festplatten und USB-Sticks) zugreifen und diese durchsuchen oder auswerten.
Im Zuge der weitreichenden Digitalisierung und der zunehmenden Relevanz digitaler Kommunikation auch im Zusammenhang mit Straftaten bzw. entsprechenden Verdachtsmomenten wurde die Rechtslage bzw. das Strafverfahrensrecht diesbezüglich mehrfach ergänzt. Bekannt wurden die Debatten u. a. unter dem Schlagwort des „Bundestrojaners“.
Grob gesagt ist also zu unterscheiden: Denkbar ist, derartige Gegenstände schlicht zu beschlagnahmen und dann offen zu durchsuchen. Komplizierter und noch grundrechtsrelevanter sind jedoch solche polizeilichen Maßnahmen, bei denen sich aus der Ferne und ohne das Wissen des Betroffenen auf ein Gerät zugeschaltet wird oder sich Zugriff verschafft wird.
Auch bei den verdeckten Ermittlungsmaßnahmen sind im Wesentlichen zwei Maßnahmen und ihre jeweilige Rechtsgrundlage zu unterscheiden. Zum einen existiert nunmehr die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung, geregelt in §110 a Strafprozessordnung (StPO). Zum anderen können die Ermittler eine sogenannte Online-Durchsuchung durchführen, die sich auf §110 b StPO stützt.
Der Unterschied ist folgender: Bei der Quellen-TKÜ wird ausschließlich ein laufender Kommunikationsvorgang aufgezeichnet, etwa eine Mail oder Chatnachrichten abgefangen. Bei der Online-Durchsuchung hingegen wird das Gerät allgemein durchsucht, unabhängig eines laufenden Übertragungsvorganges. Das heißt, die Ermittler können sich etwa in einen Computer einhacken, um dort die Festplatte nach Fotos, Suchverläufen oder sonstigen Daten zu durchforsten.
Beide Maßnahmen stellen intensive Eingriffe in gleich mehrere Grundrechte dar. Dementsprechend unterliegen diese nicht unerheblichen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit, etwa bezüglich der Schwere der infrage stehenden Straftat und dem Ausschöpfen milderer, aber gleichwertiger Mittel. Zumindest in der Theorie.
Wo ist denn nun der Unterschied?
Auf den ersten Blick scheint es womöglich so, als würde sich gar nicht viel ändern. Denn die Polizei darf ja heute schon auf Chats zugreifen und Computer aus der Ferne durchsuchen.
Aber doch: Die Unterschiede sind groß! Bisher unterliegen die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen der deutschen Polizei zur Umgehung privater und verschlüsselter Chats, Festplatten oder Clouds relativ hohen Hürden. Sie sind zudem immer anlassbezogen, müssen also stets der Aufklärung eines ganz bestimmten Sachverhalts dienen, bei dem ein hinreichender Tatverdacht auf eine konkrete und erhebliche Straftat vorliegt. Durch die besagte EU-Verordnung hätten dann sogar private Organisationen oder Unternehmen die Berechtigung, in die private Kommunikation ihrer Nutzer einzudringen und die Möglichkeit bzw. die Pflicht, diese im Zweifel den Behörden weiterzugeben.
Diese Durchsuchungen wären dann also nicht mehr tatverdachtsabhängig im Einzelfall, sondern eine Art systematischer Massenüberwachung. Kritiker sehen den Kampf gegen Kinderpornografie dabei ohnehin nur als Ablenkungsmanöver. Vielmehr, so die nicht unberechtigte Sorge, gehe es den Befürwortern um allgemeine Überwachungsmöglichkeiten und die vielen zu erwartenden Zufallsfunde.
Der Unterschied ist also gewaltig. Nicht zuletzt deswegen, weil sich Betroffene einer ungerechtfertigten polizeilichen Maßnahme dagegen vor den Verwaltungsgerichten wehren können. Gegen die systematische Chatkontrolle bestünde derartiger Rechtsschutz dann nicht mehr.
Über den Autor
Dr. Matthias Brauer LL.M.
Dr. Matthias Brauer ist Rechtsanwalt und ein erfahrener Fachanwalt für Strafrecht. Seit Jahren vertritt er mit seiner Kanzlei "Dr. Brauer Rechtsanwälte" bundesweit Mandanten bei strafrechtlichen Anschuldigungen.
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